ak - analyse & kritik

Zeitung für linke Debatte und Praxis

Nr. 439 / 08.06.2000

Keine Macht für Niemand

Wer noch mal tief in die Geschichte und Welt von Ton Steine Scherben eintauchen möchte, der kann dies nun mit einem Buch vor der Nase anfangen. Bassist Kai Sichtermann hat sich mit etwas Unterstützung daran gemacht, sämtliche Etappen der Geschichte der Band detailliert aufzuzeichnen und das unter dem Titel Keine Macht für Niemand. Dabei hat er mit vielen der damals im Umfeld der Scherben Aktiven Interviews und Gespräche geführt, die teilweise auch in dem 320 Seiten-Wälzer veröffentlicht werden. Neben vielen kleinen amüsanten Geschichtchen und Episoden in den Scherben-Jahren zwischen 1970 und 1985, den Stationen und Veränderungen von Berlin bis Fresenhagen blättert Sichtermann ein elementares Stück linker Geschichte auf. Nicht so sehr im politischen Kontext, sondern vielmehr als persönlich Beteiligter, der mit Georg von Rauch, mit Anne Reiche oder Thomas Weißbecker zu tun hatte, der am Rande der RAF und der Bewegung 2. Juni seine Musik machte und mit den Scherben mitten drin in der Hausbesetzerszene, der Lehrlingsbewegung stand.

Immer wieder geht es auch um das liebe Geld, das immer fehlte und das am Ende das Ende der Scherben besiegelte. Aus heutiger Sicht ist es irgendwie nur noch schwer nachvollziehbar, dass es innerhalb der Linken als unanständig galt, wenn eine Band von ihrer Musik leben und also Geld verdienen wollte. Die Beschaffung einer neuen Anlage, die die Band heimlich still und leise quasi als Kommandoaktion durchführen musste, um linke Kritik nicht aufkommen zu lassen, ist schon irgendwie beklemmend. Aber, und das sollte man sicher nicht übersehen, ohne diese Linke, ohne diese Aufbruchstimmung, ohne diese Gefühl von solidarischer Verbundenheit (auf der einen Seite) wären die Scherben sicher nicht die Scherben geworden und vermutlich hätten sie sich nie kennen gelernt.

Schade nur, dass Kai Sichtermann Bassist ist. Der ist als ruhender Pol - keine Frage - unverzichtbar und ein Bassist der das nicht ist, wäre keiner. Aber als Autor ist das etwas anderes. Immer wieder klingt das doch ein wenig zu sehr drüber stehend, ein wenig zu distanziert. Mag sein, dass das auch daran liegt, dass die Geschichte der Scherben von einem direkt Beteiligten häufig in der dritten Person erzählt wird. Dadurch verliert sie etwas und es wäre sicher besser gewesen, hätte Sichtermann auf Mitautor Jens Johler gehört, der ihm die Ich-Form vorgeschlagen hatte, aber an Kais Widerstand scheiterte. Das Buch macht anschaulich, dass die Scherben mehr als nur eine "Familie" waren (und sind) und mehr als nur die Summe der jeweils beteiligten Personen. Doch die etwas steife Erzählweise wirkt manchmal, als wäre Kai Sichtermann nicht wirklich mittendrin, sondern nur dabei gewesen. Aber das spricht keine Sekunde dagegen, sich den Schmöker für den bevorstehenden Urlaub zu beschaffen und sich mit einem schönen Glas Rotwein oder einem Joint auf eine Reise zu begeben.

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