Wochenzeitung WoZ - Rezensionen
Material über Ton Steine Scherben –
nach Rio Reisers Autobiografie «König von Deutschland» aus dem Jahr 1994 und dem umfangreichen Songbook der Band – liegt nun in Buchform vor: «Keine Macht für Niemand. Die Geschichte der Ton Steine Scherben», herausgegeben von Kai Sichtermann, dem Bassisten der Band, Jens Johler und Christian Stahl. Die Stärke des Buchs gleich vorneweg: Es handelt sich um Oral History aus der Rock-’n’-Roll-Perspektive. Verschiedenste Stimmen aus der Band und ihrer Umgebung kommentieren die Ereignisse und ihre Musik: Die Krämpfe mit den im Entstehen begriffenen drögen Maoistensekten in Berlin, Besetzungen, Häuserkämpfe, die Wohngemeinschaft der Scherben als Anlaufstelle für entlaufene Heimzöglinge, Kontakte zum bewaffneten Untergrund. TSS zeigt sich als Band, die an den unsinnigen Ansprüchen aus ihrem linksradikalen Umfeld fast zerbricht, jedenfalls vor ihnen aus Berlin in eine norddeutsche Landkommune flieht und sich dort dann quasi selber zerfleischt. Zugleich funktioniert die Rock-’n’-Roll-Maschinerie trotz übelster finanzieller Probleme weiter. Das gesamte linke Elend lässt sich in diesem kurzen Ausschnitt aus dem Buch fassen: «Die Anlage, über die die Scherben seit ihrer Gründung spielten, oder das, was man dafür halten konnte, war ein Sammelsurium verschiedener knisternder und brummender Verstärker, selbstgelöteter Kabel und ungewollt verzerrt klingender Boxen. Ausserdem war die Wattzahl zu niedrig. Es war höchste Zeit für eine neue Anlage. Durch Plattenverkäufe war so viel Geld hereingekommen, dass man sich immerhin eine überzeugende Anzahlung leisten konnte. Die Sache hatte nur einen Haken. Es gab zu viele Genossen im unmittelbaren Dunstkreis der Band, die sofort entsetzt aufschreien würden: ‘Was, die Scherben haben neue Verstärker? Für soundsoviel tausend Mark? Diese Kapitalisten! Verräter!’» Ohne neue Anlage würden dieselben Genossen sich allerdings garantiert über den «beschissenen Sound» auf den Gigs beschweren. Was sollte die Band also machen?