Fiktion und Fakten
TEIL I
Kapitel 1 & 2
Kapitel 3 & 4
Kapitel 5 & 6
Kapitel 7 & 8
Kapitel 9 & 10
Kapitel 11 & 12
Kapitel 13 & 14
Kapitel 15 & 16
Ich bin immer wieder gefragt worden, wieviel und was genau in meinem Roman Fiktion ist und was auf historischen Tatsachen beruht. Um diese Fragen zu beantworten, habe ich für jedes Kapitel zunächst eine kurze, im Barockstil verfasste, Inhaltsangabe geschrieben und darunter die Fragen & Antworten gesetzt, die bei der Lektüre aufgekommen sein mögen. - JJ
Kapitel 1: Der Aufbruch
Wie Bach von seinem Bruder aus der Stadt geleitet wird und dieser ihm ein Manuskript in den Ranzen steckt. –Wie Bach seinen Schulfreund und Weggefährten Georg Erdmann trifft, und Erdmann von Newton und der Gravitation berichtet. – Wie die beiden bei Erdmanns Onkel, einem Schmied, übernachten und am Morgen von mächtigen Hammerschlägen aus dem Schlaf gerissen werden.
F: Wie alt war Bachs Bruder Johann Christoph im Jahre 1700?
JJ: Fast 29 Jahre alt, also 14 Jahre älter als Bach. Nachdem die Eltern gestorben waren, nahm Johann Christoph, damals bereits Organist in Ohrdruf, den Kleinen zu sich und brachte ihm das Orgelspiel bei.
F: Wie weit war es von Ohrdruf nach Lüneburg?
JJ: ca 400 km.
F: Woher weiß man, welchen Weg Bach nach Lüneburg gewandert ist?
JJ: Es gibt eine kleine Broschüre von Hermann Kock „20.000 km auf der Spur des Johann Sebastian Bach“, der für sämtliche Reisen Bachs die möglichen Reiserouten ausgetüftelt hat. Eine von drei möglichen Routen nach Lüneburg habe ich ausgewählt.
F: Wie lange braucht Bach für die Wanderung von Ohrdruf nach Lüneburg?
JJ: Hermann Kock schätzt, dass Bach damals kaum mehr als 30 km pro Tag gewandert ist. Wahrscheinlich brauchten Erdmann und er also vierzehn Tage.
F: Wie schnell fuhr eine Kutsche zu dieser Zeit?
JJ: Tempo der Kutschen war 5 – 7 km/h. Also nicht wesentlich schneller und auch nicht viel bequemer, weil die Achsen nicht gefedert waren.
F: Warum erklingt in Bachs Inneren ein C-Dur-Akkord?
JJ: C-Dur gilt als die Tonart des Sonnenaufgangs, cf. Stephan Mickisch „Tonarten und Sternzeichen“. Außerdem: Mit dem Arpeggio in C-Dur beginnt das Wohltemperierte Klavier.
F: Gab es den Freund Georg Erdmann wirklich?
JJ: Ja, es ist historisch verbürgt, dass Bach zusammen mit Georg Erdmann nach Lüneburg wanderte. Auch, dass sie am 15. März 1700 losgewandert sind. Es ist auch wahrscheinlich, dass sich Bach tatsächlich in Gotha mit Georg Erdmann getroffen hat, da dieser zu der Zeit die Schule in Ohrdruf bereits verlassen hatte und in der Nähe von Gotha zu Hause war. Erdmann war zwei Jahre älter als Bach.
F: Was weiß man sonst über Georg Erdmann?
JJ: Wenig. Aber sicher ist, dass Bach und er über die Jahre in Verbindung blieben. Überliefert ist ein Brief, den Bach im Jahre 1730 aus Leipzig an Erdmann schrieb. Erdmann war 1713 in russische Dienste eingetreten, und wurde 1718 Resident des Zaren in Danzig.
F: Hatte Erdmann tatsächlich einen Onkel in Langensalza?
JJ: Den Onkel habe ich erfunden.
F: Bachs Vater Johann Ambrosius war Stadtpfeifer in Eisenach. Was ist ein Stadtpfeifer?
JJ: So etwas wie der weltliche Musikdirektor der Stadt. – Bachs Mutter starb 1694, der Vater Anfang 1695, nachdem er kurz vorher die Witwe Keul aus Arnstadt geheiratet hatte. Manche nennen sie noch heute hinter vorgehaltener Hand eine „schwarze Witwe“, weil sie schon zweimal zuvor einen Mann begraben hatte.
F: Wieso ist Pythagoras durch Schmiedehämmer auf das Geheimnis der Harmonie gestoßen?
JJ: Das wird später erklärt.
F: Noch eine Frage: Bach hört an einer Stelle in diesem Kapitel den fernen Ruf eines Kuckucks, der mal eine kleine und mal eine große Terz hervorbringt. Bezeichnet man als „Kuckucksterz“ nicht nur die kleine Terz?
JJ: Ja, so ist es. Aber das heißt nicht, dass der real existierende Kuckuck sich danach richtet. Auf www.clavio.de fand ich folgenden sehr schönen Eintrag: „Was die Kuckucksterz angeht, singt der Kuckuck nur in einigen Volksliedern und Musikstücken eine stilisierte kleine Terz, in der wirklichen Welt singt (wenn man es denn Singen nennen will) der wirkliche Kuckuck alles mögliche. Ob Saint-Saens, als er den alles mögliche persiflierenden Karneval der Tiere schrieb, mit seiner großen Kuckucksterz darauf hinweisen wollte oder die ewig kleine Kuckucksterz zu einer großen ironisieren, weiß ich nicht. Jedenfalls: Intervalle können je nach Kontext einen unterschiedlichen Charakter haben, und Humor können sie offensichtlich auch noch haben.“
Auf die Bedeutung der Kuckucksterz machte mich übrigens der Tübinger Philosoph Michael Franz aufmerksam. Ich zitiere, weil es so schön ist, aus seinem Schreiben:
Lieber Jens Johler, gestern Abend las ich zur Seminarvorbereitung meines Anthropologie-Seminars einen Aufsatz, den ich mir vor mehr als 20 Jahren zum letzten mal angeschaut hatte: von Rudolf Bilz, Die Kuckucks-Terz. Darin geht es eben um besagte Kuckuck-Kuckuck-Terz, die Bilz als einen gesungenen Abwehrmechanismus gegen Verlassenheitsängste interpretiert. Er bespricht darin auch eine Kantate von Dietrich Buxtehude über die Verse aus dem Hohenlied: „Ich suchte des Nachts in meinem Bette, den meine Seele liebt. Ich suchte, aber ich fand ihn nicht. Ich will aufstehen und in der Stadt umherziehen auf den Gassen und Straßen und suchen, den meine Seele liebt usw.“ In der Mitte der Kantate gibt es eine Stelle, wo der basso continuo plötzlich aufhört und zwei Oboen unisono eine Melodie schreien, die eben diese Kuckucksterz aufführt. Ich habe mir drei Versionen auf youtube angehört. Es ist ein ganz wahnsinniges Stück ...“
Kapitel 2: Endlicher Rechtstag
F: War es wirklich so, dass die Kutschen ihre Achsen auswechseln mussten, wenn von einem in ein anderes Fürstentum kamen?
JJ: So steht es in der Biographie Der berühmte Herr Leibniz von Eike Christian Hirsch.
F: Und wie war das mit dem neuen Kalender?
JJ: Im Jahr 1700 wurde der Kalender – wie schon hundert Jahre zuvor in den katholischen - auch in den protestantischen Landen vom julianischen auf den gregorianischen umgestellt. Für die Anpassung war es nötig, elf Tage aus dem Jahr zu streichen. Auf den 18. Februar folgte der 1. März.
F: Ist die Sache mit dem »Mondschein-Manuskript« historisch verbürgt?
JJ: Die Quelle dafür ist der sogenannte Nekrolog von C.P.E. Bach und J.F. Agricola.
F: Woher haben Sie die Lieder, die Bach und Erdmann in der Gastwirtschaft singen?
JJ: Von der Internetseite www.volksliederarchiv.de, Es sind Lieder aus dem 17. Jahrhundert.
F: Wurden zu Bachs Zeiten tatsächlich noch Frauen als Hexen verbrannt? War das nicht damals längst vorbei?
JJ: Leider noch nicht, auch wenn der Höhepunkt dieser Verfolgungen Mitte des 17. Jahrhunderts überschritten war. Die letzte Hexenverbrennung im Harz fand vermutlich im Jahre 1720 auf dem Richteberg in Derenburg statt, ca. 15 Kilometer von Wernigerode entfernt.
F: War Martin Luther tatsächlich ein Befürworter von Hexenverbrennungen?
JJ: Ja.Der Tuchhändler gibt Luther fast wörtlich wieder.
F: Und die Geschichte mit der Mutter von Johann Kepler?
JJ: Ist leider auch nicht erfunden.
Kapitel 3: Der Philosoph
Wie Bach und Erdmann dem Philosophen Leibniz gegenüber treten. – Wie Leibniz die Rechenmaschine erklärt und Bach durch eine kluge Bemerkung auffällt. – Wie der Fürst kommt und sich herausstellt, dass Leibniz gar nicht Leibniz ist.
F: Hatten Erdmann und Bach tatsächlich eine Begegnung mit Leibniz?
JJ: Eine Quelle dazu gibt es nicht. Aber da Erdmann ein philosophischer Kopf ist, kann er den Wunsch danach durchaus gehabt haben. Und wenn Bach und er durch Wernigerode gewandert sind, dann auch durch Wolfenbüttel, wo Gottfried Wilhelm Leibniz als Bibliothekar tätig war.
F: Die Bibliothek – war das nicht die berühmte Rotunde, die es heute noch gibt?
JJ: Nein. Die Rotunde der Herzog August Bibliothek ist erst 1706-1710 gebaut worden.
F: Die Rechenmaschine gab es?
JJ: Ja. Sie hätte auch funktioniert – wenn es nicht einen kleinen technischen Fehler gegeben hätte.
F: Dann gab es die Idee der „Universal-Charakteristik“ von Leibniz vermutlich auch?
JJ: Ja. Und selbst die Idee, einen Algorithmus zu schaffen, nach dem man Musik komponieren könnte, war nicht ganz neu: Der Universalgelehrte Athanasius Kircher stellte schon 1650 in seinem Buch Musurgia Universalis einen Algorithmus zur automatischen Komposition vor. (zur Universal-Charakteristik cf. Hirsch, S.124 f.)
F: Ein Wort zur Sozietät der Wissenschaften.
JJ: Am 11. Juli 1700 wurde in Berlin die Kurfürstlich-Brandenburgische Societät der Wissenschaften gegründet. Leibniz war ihr erster Präsident.- Später wurde daraus die Königlich-Preußische Akademie der Wissenschaften.
F: Warum ist Leibniz, wie sich am Ende der Episode herausstellt, nicht der echte Leibniz, sondern sein Sekretär Reinerding?
JJ: Weil ich, nachdem ich das Kapitel geschrieben hatte, erfuhr, dass Leibniz an den Tagen, in denen Bach und Erdmann in Wolfenbüttel gewesen sein konnten, nicht dort war. - Anders als bei Bach, von dem es so gut wie keine Briefe und Selbstzeugnisse gibt, ist von Leibniz, dem eifrigen Briefeschreiber, fast jeder Tag seines erwachsenen Lebens dokumentiert. Allerdings: Nach dem alten Kalender wäre Leibniz am 24. oder 25. März in Wolfenbüttel gewesen, daher die Rede vom „Kalenderirrtum“.
Mein Bestreben war es, in diesem Roman keine historischen Fakten zu fälschen. Alle Phantasie sollte sich auf Möglichkeiten im Rahmen des historisch Verbürgten beschränken. (Was nicht bedeutet, dass ich nicht hier und da Ausnahmen gemacht habe.)
Kapitel 4: Lateinschule
Wie Bach und Erdmann in Lüneburg aufgenommen werden und sich in das Reglement der Schule einfügen. – Wie Bach der Klasse das pythagoreischen Komma erklärt und Erdmann in den Karzer geschickt wird.
F: Ist es historisch verbürgt, dass Erdmann sich besonders gut mit den Ritterschülern verstand?
JJ: Der Biograph Christoph Wolff vermutet: „Sicher ist auch die weitere Laufbahn Erdmanns, der ein Studium der Jurisprudenz aufnahm und schließlich für Russland in den diplomatischen Dienst ging, auf diesen Kontakt mit den jungen Adligen zurückzuführen.“ (Christoph Wolff, Johann Sebastian Bach, Fischer TB, 2005, S.63)
F: Zum Reglement der Schule ... Quelle?
JJ: ??? (Ich glaube, es war die Thomasschule in Leipzig)
F: Was ist an der Geschichte dran, dass Pythagoras auf die musikalischen Proportionen aufmerksam wurde, als er an einer Schmiede vorbeikam?
JJ: Vermutlich wenig. Aber sie ist eine über die Jahrtausende überlieferte Anekdote. Die entscheidende Entdeckung von Pythagorias war, dass die Verhältnisse von Oktave, Quinte, Quarte, Terz, Sekunde ganzzahlige Verhältnisse sind. Das ist nicht trivial. Denn dadurch sind die Töne und ihre harmonischen Verhältnisse zueinander ein sehr kleiner, begrenzter Ausschnitt aus dem allgemeinen Rauschen. Diese harmonischen Verhältnisse finden sich tatsächlich überall im Makro- und im Mikrokosmos wieder. (cf. Joachim Ernst Behrendt „Die Welt ist Klang“)
F: Noch ein Wort zum pythagoreischen Komma? Was heißt „Naturzwickmühle“?
JJ: Dass reine Quintenstimmung und reine Oktavstimmung nicht zusammengehen, lässt sich auch mathematisch zeigen. Es ist tatsächlich eine Naturzwickmühle.
F: Bach zeichnet den Quintenzirkel an die Tafel – gab es so eine Darstellung des Quintenzirkels damals schon?
JJ: Eine ähnliche Darstellung des Quintenzirkels findet sich im Jahre 1711 in Johann David Heinichens „Neu erfundene und gründliche Anweisung“. Heinichen selbst bezieht sich aber auf den Universalgelehrten Athanasius Kircher (1601 – 1680): „Des Kircheri Circulus per Quartas oder per Quintas ist nicht unbekandt/ vermöge dessen man durch alle Tone oder vielmehr durch das gantze Clavier lauffen/ und wieder in denjenigen Ton kommen kan/ wo man angefangen hat.“
Der Quintenzirkel ist deshalb zugleich ein Quartenzirkel, weil dieselben Intervalle, die aufwärts gegriffen Quinten sind, abwärts gegriffen Quarten sind. Beispiel: Gehe ich von C aufwärts zu G, dann habe ich eine Quinte. Gehe ich von C abwärts zu dem tiefer gelegenen G, dann habe ich eine Quarte.
Johann Mattheson stellt übrigens in seiner General-Bass-Schule schon die quintenverwandten Dur- und Mollarten – die mit den gleichen Vorzeichen - paarweise zusammen, also C-Dur und a-Moll, G-Dur und e-Moll, D-Dur und h-Moll usw. (Siehe dazu: Andreas Jacob, Studien zu Kompositionsart und Kompositionsbegriff in Bachs Klavierübungen, Franz Steiner Verlag, 1997, S.140 ff)
Kapitel 5: Der Löw von Eysenach
Wie Bach den Löw von Eysenach um Unterricht bittet und von diesem zum Teufel geschickt wird. – Wie Erdmann ihn am Ende zu Böhm bringt.
F: Hat Bach tatsächlich versucht, ein Schüler des Johann Jacob Löw zu werden?
JJ: Schon möglich. – Bei Christoph Wolff in einer Fußnote ist zu lesen: „Löwe, der sich selbst ‚Löw von Eysenach’ nannte, wurde in Wien geboren, wo sein aus Eisenach stammender Vater Diplomat war. Er war Schüler von Heinrich Schütz gewesen und hatte als Kapellmeister in Wolfenbüttel und Zeitz gedient, bevor er 1683 die Organistenstelle in Lüneburg übernahm.“ Wolff schreibt auf S.65, Löw sei „ein Mann in den Achtzigern“ gewesen. Bei Wikipedia steht, Löw habe von 1629 – 1703 gelebt, war demnach ein Mann in den Siebzigern.
Auf der Webseite des Heinrich-Schütz-Hauses heißt es, es sei nicht endgültig geklärt, ob Löw den jungen Bach kennengelernt oder sogar unterrichtet habe. ( http://heinrich-schuetz-haus.de )
F: Wann hatte der Zar Frieden mit den Osmanen geschlossen?
JJ: Am 3. Juli 1700. Im Vertrag von Konstantinopel, der den russisch-türkischen Krieg von 1886 – 1700 beendet.
F: Welche Toccata hat Bach bei Böhm gespielt?
JJ: Die Toccata und Fuge in d-Moll, BWV 565, das wohl bekannteste Orgelwerk Bachs. Das Werk war lange Zeit bezüglich seiner Autorenschaft umstritten. Bach muss es in jungen Jahren geschrieben haben. Albert Schweizer nannte es Bachs Jugendsünde.
(Auf youtube: http://www.youtube.com/watch?v=Zd_oIFy1mxM )
F: War Bach wirklich Schüler von Georg Böhm?
JJ: Lange Zeit war das nicht sicher. Inzwischen gilt es als verbürgt.
Kapitel 6: Die drei Musiken
Böhm findet das Spiel von Bach perfekt, aber: „Etwas fehlt“. - Wie Böhm dem verzweifelten Bach die Geschichte von den drei Musiken erzählt. – Bach findet sein Ziel: die Einheit von irdischer und himmlischer Musik.
F: Ein Wort zu Pythagoras?
JJ: Pythagoras lebte von 570 – 510 v. Chr. Er wurde auf Samos geboren und wanderte als Vierzigjähriger nach Süditalien aus, wo er eine religiös-philosophische Schule gründete.
Eine Einführung in Leben, Lehre und Nachwirkung von Pythagoras gibt Christoph Riedweg in Pythagoras, Verlag C.H. Beck, München, 2002
F: Und Boethius?
JJ: Boethius wurde um 480 n.Chr. in Oberitalien geboren und starb zwischen 524 und 526, hingerichtet als Verschwörer.
Eine ausführliche Darstellung der Musiktheorie von Boethius findet sich bei Anja Heilmann: Boethius Musiktheorie und das Quadrivivum, Vandenhoeck & Ruprecht, 2007. Hier ein Zitat aus dem letzten Teil des Buches:
„Gemäß Boethius’ Aussagen besteht die Musik aus drei Bereichen: der hörbaren Musik, die mit Instrumenten und der menschlichen Stimme hervorgebracht wird (musica instrumentalis); der Harmonie im Menschen, die aus einer in sich differenzierten Seele und einem ebensolchen Körper besteht (musica humana); und der Wohlordnung im gesamten wahrnehmbaren Kosmos (musica mundana). ... Nach Boethius’ Verständnis schreitet eine solche dreigeteilte Musiktheorie von der Behandlung hörbarer Intervalle zur Harmonie im Menschen als Teil des beseelten Kosmos fort, um schließlich zur Erkenntnis der Harmonie im ganzen Kosmos zu gelangen.“ (S.286)
Der Wahre Musicus ist in Boethius’ platonischem bzw. neuplatonischem Verständnis allerdings nicht der Instrumentalist, nicht einmal der Komponist, sondern der Musiktheoretiker oder Musikphilosoph. Was natürlich nicht ausschließt, dass einer alles in einer Person vereinigt.
F: Und Johann Kepler?
JJ: Johann Kepler (1571 – 1630) war Mathematiker und Astronom, u. a. der Entdecker der nach ihm benannten Gesetze über die Bewegungen der Planeten. Er trug maßgeblich dazu bei, dem heliozentrischen Weltbild des Kopernikus zum Durchbruch zu verhelfen. Keplers Ziel aber war es, die „Weltharmonik“ zu entdecken. Harmonice Mundi lautet auch der Titel seines Hauptwerkes, in dem er allles daran setzt, die harmonischen Beziehungen, die wir auf unseren Instrumenten finden, auch am Himmel zu entdecken und zu berechnen.
„Die Exzentrizitäten der Planetenbahnen“, heißt es bei Mechthild Lemcke in ihrer rororo-Monographie über Kepler, „die zunächst für so viel Irritation gesorgt hatten, sieht Kepler nun, da er die Proportionen kennt, als Quelle kosmischer Polyphonie: Ein fiktiver Beobachter bzw. ‚Hörer’ auf der Sonne könnte die Gesamtheit aller Planeten-Stimmen wahrnehmen und im Konzert der wechselnden Akkorde die Schönheit und Harmonie der Schöpfung erfassen. Anders als bei den Pythagoreern, die jedem Planeten nur einen Ton zuordneten, erkennt Kepler in den Exzentrizitäten der Planetenbahnen Tonskalen, die im Zusammenklang wechselnde Melodien und Harmonien ergeben.“ (S.108)
Das Zitat, das Böhm vorliest, stammt aus der Weltharmonik.
Kapitel 7: Adam Reincken
Wie Bach und Böhm nach Hamburg kommen und am nächsten Tag den großen Adam Reincken aufsuchen. - Wie Bach vor Reincken spielt und Reincken sagt: „Er muss zu Buxtehude“.
F: Ist es historisch verbürgt, dass Bach mit Böhm zu Reincken fuhr?
JJ: Dass Bach zusammen mit Böhm nach Hamburg fuhr, gilt als Tatsache. Auch, dass er dem Organisten der Katharinenkirche auf der Orgel mit den vier Manualen vorspielte.
F: Wer war Adam Reincken?
JJ: Johann Adam Reincken wurde im Dezember 1643 in Deventer getauft, war also, als Bach mit Böhm nach Hamburg kam, Ende Fünfzig. Lange Zeit glaubte man, er sei schon fast achtzig Jahre alt gewesen, weil der Musiker und Musikschriftsteller Johann Mattheson irrtümerlicher Weise das Jahr 1623 als Reinckens Geburtsjahr angegeben hatte. Reincken war mit dem Lübecker Organisten Dieterich Buxtehude befreundet, und er war 1678 Mitbegründer der Hamburger Oper am Gänsemarkt. Daher ist es nicht unwahrscheinlich, dass er mit Böhm und Bach zusammen die Oper besucht hat.
Im Jahr 2005 wurde in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar ein eigenhändige Abschrift Bachs von Reinckens Orgelfantasie An Wasserflüssen Babylon entdeckt. Seitdem ist man der Meinung, er habe den Choral schon vor seinem Hamburgbesuch kopiert.
Für seine Klavierkompositionen BWV 954, 965 und 966 verwendete Bach Teile aus Reinckens Suitensammlung Hortus Musicus.
F: Was war das Zippelhaus?
JJ: Zippelhaus (Zippel = Zwiebel, von cipolla) nannte man im Volksmund den Bardowicker Gemüsespeicher, der seit 1535 an der Mauer östlich der Katharinenkirche lag. Dieser Speicher und Höker diente als Gemüselager und wurde von den Hökerinnen auch als Schlafstelle genutzt.
Überliefert ist, dass Bach in Arnstadt mit dem Schüler Geyersbach aneinander geriet, weil er diesen einen „Zippelfagottisten“ genannt hatte.
Kapitel 8: Die krumme Operen Schlange
Wie Bach zum ersten Mal eine Oper besucht und sich in die Sängerin der Eurydike verliebt. – Wie er im Kaffeehaus Zeuge eines Disputs um die wahre Musik wird. – Wie er nach Hause kommt und die Sängerin wiedersieht.
F: Gibt es Quellen, die einen Besuch Bachs in der Oper am Gänsemarkt belegen?
JJ: Nein. Aber zumindest Klaus Eidam legt in seiner Biographie über "Das wahre Leben des Johann Sebastian Bach" nahe. Und er vergisst auch nicht zu erwähnen, dass "ein gewisser Johann Mattheson" dort tätig war.
F: Was hatte es mit der Oper am Gänsemarkt auf sich?
JJ: Das 1678 gegründete Opern-Theatrum am Gänsemarkt war die erste bürgerlich-städtische Oper in Deutschland. Das Haus bot bis zu zweitausend Zuschauern Platz. Opern wurden hier in deutscher Sprache aufgeführt. Anders als in den höfischen Opern hatte hier jeder Zutritt, der das Eintrittsgeld bezahlte. Bemerkenswert an den Opern in dieser Zeit waren u. a. die sehr aufwendigen und technisch raffinierten Bühnenbilder.
Kapellmeister an der Hamburger Oper war zu dieser Zeit Reinhard Keiser (1674-1739), der später zu ihrem Direktor avancierte. Keiser war ein ungeheuer produktiver Opernkomponist. Er gehörte, wie Carl Philipp Emanuel Bach in einem Brief an N. Forkel berichtet, zu den Musikern, die Bach schätzte.
Im Jahre 1705 brachte der junge Georg Friedrich Händel seine ersten beiden Opern Almira und Nero an der Oper am Gänsemarkt zur Aufführung.
F: Nach der Opernaufführung gehen Bach, Böhm und Reincken ins Kaffeehaus. Wie lange gab es das Kaffeehaus in Hamburg schon?
JJ: Kaffeehäuser waren eine neue Errungenschaft der großen Städte – ebenfalls wichtige Orte, in denen sich eine neue, bürgerliche Öffentlichkeit konstituierte. (Sehr gut nachzulesen bei Richard Sennet Die Tyrannei der Intimität – Verfall und Ende des öffentlichen Lebens).
1645 wurde das erste Kaffeehaus am Markusplatz in Venedig eröffnet, 1650 folgte Oxford, 1652 London, 1659 Marseille, 1663 Amsterdam und Den Haag und schließlich 1672 Paris. Die Deutschen bekamen 1673 in Bremen ihr erstes Kaffeehaus, Hamburg zog vier Jahre später, 1677, nach. Gründung der Oper und des ersten Kaffeehaus erfolgten also fast gleichzeitig. Ebenso wie die Oper war das Kaffeehaus ein Erfolgsmodell: 1694 gab es in Hamburg bereits vier Kaffeehäuser.
F: Wer waren die Kontrahenten in dem Disput im Kaffeehaus?
JJ: Johann Mattheson und Joachim Gerstenbüttel.
Joachim Gerstenbüttel (1647 – 1721) war von 1675 bis zu seinem Tode Johanneumskantor in Hamburg und damit zugleich Director Musices der Hamburger Hauptkirchen (mit Ausnahme des Doms). Gerstenbüttels Widerstand gegen den zunehmenden Einfluss der „Operisten“ auf das Musikleben der Stadt ist Gegenstand des Buches von Joachim Kremer. Nachfolger von Joachim Gerstenbüttel als Johanneumskantor wurde 1721 Georg Philipp Telemann; dessen Nachfolger wiederum sein Patensohn Carl Philipp Emanuel Bach.
Johann Mattheson (1681 – 1764) war der Sohn eines reichen Hamburger Kaufmanns und erhielt eine umfassende Ausbildung in Fremdsprachen und in der Musik. Sein Talent zeigte sich schon in jungen Jahren, er spielte mehrere Instrumente, sang an der Hamburger Oper und komponierte Opern. 1718 wurde er Musikdirektor des Hamburger Doms, später – nicht zuletzt, weil er zunehmend taub wurde - , verfasste er einflussreiche musiktheoretische Werke wie die Generalbaßschule, Die exemplarische Organistenprobe oder Der vollkommene Capellmeister.
F: Wie kam es zu der Auffassung, dass Musik „galant“ sein müsse?
JJ: Der Begriff des “galant homme” wird seit dem letzten Drittel des 17. Jahrhunderts auch im Deutschen gebraucht.Der galant homme (von frz. galer = sich vergnügen) war gebildet und hatte ein gutes Benehmen.
“Alles muss gehörig singen” - unter dieser Schlagzeile versammelt Mattheson 1739 im Vollkommenen Capellmeister die Gelehrsamkeit des barocken Musikers, der in Rhetorik ebenso firm sein müsse wie in der fundamentalen Mathematik seiner Zeit. Die Haltung des galant homme wurde im frühen 18. Jahrhundert zum Idealbild. Mattheson forderte, dass die Melodie in den Vordergrund treten und der Mensch als hörendes und spielendes Subjekt in den Mittelpunkt rücken sollte. (siehe dazu auch den Aufsatz von Beate Kutschke in der International Review of the Aesthetics and Sociology of Music, 2007)
Laut Klaus Eidam (S.54) war es übrigens Johann Kuhnau, der Thomaskantor, den Bach beerben sollte, der als erster den Begriff des "galanten Stils" prägte.
F: Gab es die Sängerin Sophie Agneta Petersen wirklich?
JJ: Nein, sie ist eine erfundene Figur.
Kapitel 9: Die Muse
Bach fasst den Entschluss, eine Oper zu komponieren, und gewinnt Erdmann als Opernpoeten. - Wie Bach erneut nach Hamburg kommt und eine herbe Enttäuschung erlebt. – Wie Bach an seiner Oper weiterarbeitet und von Reincken erfährt, dass es auf die Affekte ankommt.
F: Gibt es irgendwelche Hinweise darauf, dass Bach eine Oper komponiert hat oder haben könnte?
JJ: Zu Bach als Opernkomponisten noch einmal das Zitat von Nikolaus Harnoncourt, das ich dem Roman vorangestellt habe:
„Hätten ihn die Lebensumstände an einen großen katholischen Hof oder in eine unabhängige bürgerliche Stellung gebracht, und er hätte eine solche Entwicklung sicherlich begrüßt, wäre er unbedingt zum größten Opernkomponisten seiner Zeit geworden.“ (Der musikalische Dialog, S.52)
Eine Oper von J.S.Bach ist jedoch nicht überliefert.
Kapitel 10: Circe
Wie Bach Erdmann als Opern-Poeten gewinnt und dieser die Idee hat, eine Circe zu schreiben. – Wie Bach noch einmal nach Hamburg reist und eine bittere Enttäuschung erlebt.
F: Gibt es das Libretto für diese Oper?
JJ: Nein, das Exposé habe ich erfunden. Kann aber sein, dass es ähnliche Bearbeitungen des Stoffes gibt.
F: Dass Bach in Hamburg bei seinem Vetter Johann Ernst übernachtete, ist verbürgt?
JJ: Nein, auch das muss man sich zusammenreimen. Verbürgt ist, dass Johann Ernst ein halbes Jahr in Hamburg war, um sich im Orgelspiel zu verbessern. Klaus Eidam macht daraus: "Da war auch die Schlafstelle gesichert." (35)
Kapitel 11: Auf die Affekte kommt’s an
Wie Bach bei Böhm die Affektenlehre studiert. – Bach und Erdmann verabschieden sich voneinander, und Bach komponiert seine Oper zuende.
F: Was hat es mit der Affektenlehre auf sich?
JJ: Die Affektenlehre war ein wichtiges Element der Barockmusik. Die Komponisten benutzten tatsächlich Tabellen, in denen verschiedenen Affekten bestimmte musikalische Figuren zugeordnet waren. Die Meinungen gehen darüber auseinander, ob diese musikalischen Figuren die Affekte nur hervorriefen, wenn die Hörer mit der Symbolik vertraut waren, oder auch dann, wenn die Hörer nicht wussten, was die musikalischen Figuren bedeuteten. Mit anderen Worten: Ob es einen direkten physikalischen Einfluss der Musik auf die Affekte gab oder nur einen über die Symbolsprache der „Klangrede“. (Ein Begriff, den Mattheson geprägt hat).
James R. Gaines schreibt in „Das musikalische Opfer“, S.103: „... ob diese Effekte bewußt wahrgenommen und verstanden wurden oder nicht, spielt in der Theorie (der Barockkomponisten, JJ) keine Rolle. Man stellte sich den musikalisch hervorgerufenen Affekt nicht als Resultat einer bewußten Wahrnehmung, sondern als eine gewissermaßen mechanische Reaktion auf die Tonschwingungen selbst vor. Die Fähigkeit, Menschen zu rühren, ohne daß ihnen klar war, wie dies geschah, machte den Komponisten zu einer Art Zauberer ...“
Der Bach-Schüler Johann Gotthilf Ziegler: „Was das Choralspielen betrifft, so bin von meinem annoch lebenden Lehrmeister dem Herrn Capellmeister Bach so unterrichtet worden, daß ich die Lieder nicht nur so obenhin, sondern nach dem Affect der Worte spiele.“ (zitiert bei Spitta, Breitkopf & Härtel, Leipzig 1953, S.95)
Kapitel 12: Ich will dir mein Herze schenken
Wie Bach seine Oper zu Sophie Agneta bringt und sie verspricht, sie dem Kapellmeister Keiser zu zeigen. – Wie Bach im Kaffeehaus mit einem Collegium Musicum musiziert. – Wie er zu Sophie Agneta zurückkommt und eine bittere Enttäuschung erlebt.
F: Bachs Zusammentreffen mit den Musikern im Kaffeehaus soll offenbar an moderne Jamsessions von Jazzmusikern erinnern. Warum?
JJ: Weil man damals viel mehr improvisierend zusammengespielt hat als heute. In dieser Hinsicht ähnelte die Barockmusik dem Jazz. Gerade zu Bachs Zeit und wohl auch durch Bachs Einfluss, tritt die Improvisation zugunsten des fertig komponierten Werkes in den Hintergrund. Die Musiker haben das bedauert. Komponist, Dirigent und Solisten übernahmen die Hauptrollen.
F: Die Arie „Ich will dir mein Herze schenken“ stammt doch aus der Matthäus-Passion, oder?
JJ: Ja, wir begegnen ihr mit leicht verändertem Text wieder in der Matthäus-Passion. Man nennt diese Wiederverwendung einer Musik mit verändertem Text: Parodie – das sogenannte Parodieverfahren ist von Bach und seinen Zeitgenossen häufig angewendet worden. „Ich will dir mein Herze schenken“ war aber, wie der Filmemacher Richard Blank („Matthäus-Passion“) mir erzählte, tatsächlich ein weltliches Liebeslied, das Bach/Henrici mit verändertem Text in die Matthäus-Passion aufgenommen haben.
Kapitel 13: Lakai
Wie Bach auf seinem Rückweg nach Ohrdruf zu der Überzeugung gelangt, dass die Oper eine Verirrung war. Er besinnt sich erneut auf sein Ziel: Einheit von Musica mundana und Musica instrumentalis. – Wie Bach in Mühlhausen Station macht und bei dem Orgelbauer Wender aushilft. - Wie Bach nach Ohrdruf zu seinem Bruder zurückkehrt, sich in Sangerhausen bewirbt und vom Fürsten abgelehnt wird. – Er geht nach Weimar und wird Musiklakai des Herzogs. – Wie Bach zur Orgelprüfung nach Arnstadt reist.
F: Wann ist Bach von Lüneburg aus zurück gewandert?
JJ: Man weiß es nicht genau. „Zwischen Ostern und dem Jahresende 1702 klafft eine biographische Lücke“, schreibt der Bach-Biograph Malte Korff. (Johann Sebastian Bach, dtv 2002, S.21)
F: Dann ist es wohl auch nicht verbürgt, dass Bach einige Zeit in Mühlhausen beim Orgelbauer Wender gearbeitet hat?
JJ: Nein.Meine Überlegung war: Bach ist durch Mühlhausen zurück gewandert. Dort arbeitete als Organist Georg Ahle, dessen Nachfolger er später wurde, und als Orgelbauer Johann Friedrich Wender. Die erste Orgel, zu deren Prüfung Bach aufgefordert wurde, war die Wender-Orgel in der Neuen Kirche von Arnstadt. Wieso ist man in Arnstadt auf die Idee gekommen, den 18jährigen Johann Sebastian Bach zur Prüfung der Orgel einzuladen?
Bei Christoph Wolff heißt es: „Doch als auswärtigen Experten lud der Bürgermeister keinen anderen ein als Johann Sebastian Bach, der von Weimar herüberkommen sollte. Natürlich hätten ältere und erfahrenere Mitglieder der Bach-Familie für diese Aufgabe zur Verfügung gestanden, aber Feldhaus entschied sich dafür, den achtzehnjährigen Bach (wahrscheinlich zum erstenmal überhaupt) eine offizielle Orgelprüfung vornehmen zu lassen. Schon auf dieser frühen Stufe seiner Laufbahn genoß Bach den Ruf, ein so phänomenales Verständnis für die Technik des Orgelbaus zu besitzen, daß man bei einem solchen Auftrag andere Familienmitglieder getrost übergehen konnte ...“ (S.76 f.)
Ich habe mich gefragt, woher jemand, der noch nie eine Orgel geprüft hatte, sich einen solchen Ruf erworben haben könnte, und bin dann auf die Idee gekommen, dass es der Orgelbauer Johann Friedrich Wender gewesen sein könnte, der diesen Ruf verbreitet hatte.
Bachs Bestallungsurkunde in Arnstadt ist auf den 9. August 1703 datiert.
F: Hat Bachs Freund Erdmann wirklich in Halle studiert und dort Händel und Telemann kennengelernt?
JJ: Möglich, aber nicht verbürgt. Dass Erdmann zum Studium nach Halle geht, habe ich mir zusammengereimt, weil er Jura studiert hat. Tatsache ist aber, dass Händel zu jener Zeit noch in seiner Geburtsstadt Halle lebte und in dieser Zeit Freundschaft mit Telemann schloss. Das geht aus einem autobiographischen Text Telemanns hervor.
(zu Händel und Telemann in Halle vgl. auch C. Hogwood. „Telemann erwies Händel einen unschätzbaren Dienst, indem er ihn in die bunte Welt der Oper einführte – in Halle war diese Form der Unterhaltung noch unbekannt.“ Christopher Hogwood, „Händel“, insel taschenbuch, Insel Verlag, Frankfurt a. M., 2000, S.33)
Kapitel 14: Die Reise nach Fis-Dur
Wie Bach sich als Organist in Arnstadt einrichtet und an der Orgel alles Mögliche ausprobiert. – Wie ihn die Grenzen der Stimmung ärgern. – Wie Bach davon träumt, „die Reise nach Fis-Dur“ anzutreten.
F: Weiß man, wie die Wender-Orgel in Arnstadt gestimmt war?
A: Ja. Die Wender-Orgel in Arnstadt war schon nicht mehr mitteltönig gestimmt, wie fast alle Orgeln zu jener Zeit, aber auch nicht wohl temperiert. Zumindest vier Tonarten (und die dazu gehörigen Moll-Tonarten) konnte man überhaupt nicht darauf spielen. Das tiefe Cis, so Gottfried Preller, der Organist der Kirche, bei einer Orgelführung im Jahre 2008, habe man gar nicht erst gebaut, weil es ja doch nicht gebraucht wurde.
F: Was ist die mitteltönige Stimmung?
A: Unter mitteltönigen Stimmungen versteht man eine Reihe von Stimmungen, die in der Renaissance, im Barock und vielfach auch in späterer Zeit hauptsächlich für Tasteninstrumente gebräuchlich waren. Die mitteltönige Stimmung mit ihren vielen reinen Terzen verwirklicht fast vollkommen die reine Stimmunng für Tasteninstrumente – allerdings nur für eine begrenzte Zahl von Tonarten. (Wikipedia)
F: Und woher kommt das Wort „mitteltönig“?
A: Daher, dass man die Terz, z.B. C – E, rein gestimmt hat und den Ganzton dazwischen, also das D, genau in die Mitte gesetzt hat. (Voher waren die Sekunden-Abstände C-D und D-E unterschiedlich groß)
F: Wie unterscheiden sich pythagoreische, mitteltönige und wohltemperierte Stimmung?
A: Ganz grob charakterisierend kann man sagen:
Pythagoreische Stimmung: Reine Quinten – unreine Terzen. Im Mittelalter hat man die Orgeln nach reinen Quinten aufwärts gestimmt.
Mitteltönige Stimmung: Reine Terzen – unreine Quinten. Das war die Stimmung der Renaissance. („Unterstützt wird dieses Prinzip durch die Eigenschaft des Ohres, eine unreine Quinte nicht als solche zu empfinden, solange die wohlklingende Natur-Terz als Bestandteil eines Dur-Akkordes enthalten ist.“ (http://mepoolserver.pi.tu-berlin.de/Bilder/Historie/Stimmung.pdf )
Wohltemperierte Stimmung: Alle Intervalle werden unrein. Die Quinten aber weniger als die Terzen.
(Sehr schön erklärt wird das auf: http://www.br-online.de/kinder/fragen-verstehen/musiklexikon/2012/03424/ )
F: Was bedeutet der Begriff „rein“ in Bezug auf die Stimmung?
A: Ein Intervall ist dann rein, wenn es so sauber klingt, dass es nicht mehr flirrt oder, wie der Fachmann sagt, „nicht mehr schwebt“. Oktaven sind immer rein. An zweiter Stelle kommen die Quinten. Bis heute werden z.B. die Geigen in reinen Quinten gestimmt.
„Rein“ bedeutet aber auch: Der Obertonreihe entsprechend.
F: Hat Bach wirklich so eine Scheu vor weiten Reisen gehabt?
A: Jedenfalls hat er nie eine gemacht. Zu Bachs äußerem Radius schreibt der Biograph Martin Geck: „Seiner musikalischen Urszene ist Bach sein Leben lang treu und zugleich dem thüringisch-sächsischen Raum definitiv verhaftet geblieben; Reisen haben ihn nicht weiter als nach Lübeck und Berlin im Norden, Karlsbad im Süden und Kassel im Westen geführt.“ (Martin Geck, „Bach – Leben und Werk“, rororo Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, August 2001, S.48)
F: Hat Bach sich auf seinen Spaziergängen in die Umgebung von Arnstadt tatsächlich so an der Volksmusik erfreut?
A: Ich kann es mir nicht anders vorstellen. Habe ihm allerdings einige Worte in den Mund gelegt, die aus einer autobiographischen Skizze von Telemann stammen. Telemann berichtet von seiner Zeit in Oberschlesien und davon, dass er die „polnische und hanakische Musik, in ihrer wahren barbarischen Schönheit kennen“ gelernt habe, und fährt dann fort:
„Man sollte kaum glaube, was dergleichen Bockpfeiffer oder Geiger für wunderbare Einfälle haben, wenn sie, so offt die Tantzenden ruhen, fantaisiren. Ein Aufmerckender könnte von ihnen, in 8. Tagen, Gedancken für ein gantzes Leben erschnappen. Gnug, in dieser Musik steckt überaus viel gutes; wenn behörig damit umgegangen wird. Ich habe, nach der Zeit, verschiedene große Concerte und Trii in dieser Art geschrieben, die ich in einen italiänischen Rock, mit abgewechselten Adagi und Allegri, eingekleidet.“
(zit. In Karl Grebes rororo monographie „Telemann“, S. 95f.)
Kapitel 15: Nach Süden!
Die drei Cousinen kommen in die Stadt. - Wie Maria Barbara Bachs Herz anrührt und damit die Sehnsucht nach der Sängerin weckt. – Wie Bach zunehmend unzufrieden wird, wie er sich mit dem Schüler Geyersbach streitet und vom Konsistorium dafür getadelt wird. – Wie Erdmann Bach in einem Brief auffordert, nach Italien zu kommen: nach Süden. – Wie Bach das Gegenteil heraushört: nach Norden. –
F: Kamen die drei Cousinen wirklich 1704 nach Arnstadt?
JJ: Ja. Nach dem Tod ihrer Eltern. Die Frau des Bürgermeisters war ihre Tante.
F: Ist die nächtliche Auseinandersetzung mit dem Schüler Geyersbach eine Erfindung?
JJ: Nein. Zu den wenigen biographischen Einzelheiten, die man über Bach weiß, gehört diese Affäre. Sie ist in den Protokollen des Konsistoriums dokumentiert. (cf. Johann Sebastian Bach – Leben und Werk in Dokumente, S.40 ff)
F: Erdmanns Brief ist aber sicherlich erfunden?
JJ: Ja. Aber vergessen wir nicht: Bach und Erdmann haben sich Briefe geschrieben, dafür spricht der überlieferte Brief von Bach an Georg Erdmann aus dem Jahr 1730.
Kapitel 16: Abendmusiken
Wie Bach nach Lübeck wandert, Buxtehude und seine drei Töchter begrüßt und bei der Witwe Brinckmann ein Zimmer bezieht. – Wie Bach an Buxtehudes außerordentlichen Abendmusiken teilnimmt.
F: In den Bach-Biographien ist immer nur von einer Buxtehude-Tochter die Rede. Gab es wirklich drei?
JJ: Ja, Buxtehude lebte, als Bach nach Lübeck kam, noch mit seinen drei Töchtern zusammen. Cf die große Buxtehude-Biographie von Kerala Snyder. Dass die drei Buxtehude-Töchter dem Alter nach den drei Cousinen ähneln, die Älteste sogar denselben Namen trägt, ist, glaube ich, zuvor noch niemandem aufgefallen.
F: Und die Witwe Brinckmann? Gab es die auch?
JJ: Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Ich habe sie erfunden.
F: Hat Bach tatsächlich bei den Abendmusiken mitgespielt?
JJ: Wahrscheinlich. - Die Darstellung der Abendmusiken folgt einer zeitgenössischen Quelle, die in der Buxtehude-Biographie von Kerala Snyder zitiert wird.